Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann ein Arbeitnehmer selbst durch gerichtlichen Vergleich nicht auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub „verzichten“, so das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 03.06.2025 (BAG, 9 AZR 104/24)
Ausgangslage Prozessvergleich
Im vorliegenden Fall war der Kläger bei der Beklagten als Betriebsleiter beschäftigt. Durch gerichtlichen Vergleich vom 31.03.2023 verständigten sich beide Parteien auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2023. Neben einer Abfindung einigten sich die Parteien auch hinsichtlich der dem Kläger zustehenden Urlaubsansprüche, indem sie festlegten: „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt.“
Im Vorfeld dieser Einigung wurde seitens des Klägers zwar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht wirksam verzichtet werden könne, gleichwohl erklärte er sich unter Hinweis auf die geäußerten rechtlichen Bedenken mit dem Vergleich einverstanden. Da der Kläger im Jahr 2023 von Beginn an bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses am 30.04.2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war, konnte er seinen Urlaub aus diesem Jahr nicht in Anspruch zu nehmen. Daher erhob er Klage und machte für den Zeitraum vom 01.01.2023 bis 30.04.2023 sieben Tage anteiligen, gesetzlichen Mindesturlaub geltend.
Kein Verzicht auf gesetzlichen Mindesturlaub im laufenden Arbeitsverhältnis
Das BAG hat mit seiner Entscheidung die bisherige Rechtsprechung gefestigt und bestätigt, dass ein Arbeitnehmer selbst im Rahmen eines gerichtlichen Vergleiches nicht auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub verzichten kann, solange das Arbeitsverhältnis (noch) besteht. Hierbei handelt es sich um einen unabdingbaren Schutz nach §§ 1, 3 Abs. 1, 13 Abs. 1 S. 1 BUrlG. Der gesetzliche Mindesturlaub ist die vom Gesetzgeber festgelegte Minimalanzahl von Urlaubstagen eines Arbeitnehmers. Er darf lediglich abgegolten, mithin ausgezahlt, werden, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist (§ 7 Abs. 4 BUrlG, Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2003/88/EG i.V.m. § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG). Ein Rechtsgeschäft, also auch ein Vergleich, das dagegen verstößt, ist nichtig (§ 134 BGB).
Selbst wenn für alle Beteiligten feststeht, dass der Arbeitnehmer bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses den gesetzlichen Mindesturlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gar nicht mehr in Anspruch nehmen kann, darf der Arbeitnehmer nicht auf diesen „verzichten“. Dies geht erst recht nicht ohne finanziellen Ausgleich des mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses später entstehenden Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs.
Ob und wie hoch der dem Kläger zustehende, offene gesetzliche Mindesturlaub war, war zwischen den Parteien zu keiner Zeit unsicher oder strittig, was durch ein gegenseitiges Nachgeben der Parteien hätte ausgeräumt werden können. Laut Ansicht des Gerichts handelt es sich damit bei der zwischen den Parteien zum Urlaub getroffenen Vergleichsregelung auch nicht um einen sog. Tatsachenvergleich. Ebenso könne sich die Beklagte auch nicht auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) berufen, da es sich um eine offensichtlich rechtswidrige Regelung handele.
Praxistipp:
Vereinbarungen zum gesetzlichen Mindesturlaub – Auf den richtigen Zeitpunkt kommt es an!
- Damit bleibt festzuhalten, dass lediglich über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehende Urlaubsansprüche auch im laufenden Arbeitsverhältnis ausgeschlossen oder abgegolten werden können. Ansonsten ist im laufenden Arbeitsverhältnis eine einvernehmliche Regelung in Form eines Tatsachenvergleiches in Bezug auf den gesetzlichen Mindesturlaub nur möglich, wenn hierüber Unsicherheiten bestehen. Und auch dann wird dieser kaum vollständig ausgehebelt werden können.
- Es bleibt daher zur Vermeidung von Auseinandersetzungen nur die Möglichkeit, konkrete Regelungen für die verschiedenen Konstellationen zu treffen. Dies betrifft sowohl Aufhebungsverträge, Abwicklungsvereinbarungen und auch gerichtliche Vergleiche, die (noch) während des bestehenden Arbeitsverhältnisses abgeschlossen werden.
- Werden diese Vereinbarungen erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgehandelt, ist der Spielraum für anderweitige Gestaltungen hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs größer. So hat das BAG bereits am 14.05.2013 (9 AZR 844/11) entschieden, dass auch der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs von einer Ausgleichsklausel in einem gerichtlichen Vergleich umfasst ist. § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG stellt zwar sicher, dass der Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub hat. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bedarf es dieses Arbeitnehmerschutzes jedoch nicht mehr. Der Urlaub kann nach Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nicht mehr genommen werden und wird zum reinen Geldanspruch. Dieser unterliegt einer wirksamen Ausschlussklausel, sei es durch Arbeits- oder Tarifvertrag (BAG v. 09.03.2021, 9 AZR 323/20) und kann durch eine entsprechende Vereinbarung abgegolten werden.
Verfahrensgang:
BAG, Urteil vom 03.06.2025 – 9 AZR 104/24
LAG Köln, Urteil vom 11.04.2024 – 7 Sa 516/23
ArbG Siegburg, Urteil vom 16.08.2023 – 3 Ca 924/23
Stand: 12.08.2025
Ansprechpartner:
Sabine Stölzel (Rechtsanwältin / Fachanwältin für Arbeitsrecht)
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